Viele Führungskräfte stehen unter enormem Druck – und machen dabei einen entscheidenden Denkfehler: Sie knüpfen ihren Selbstwert an ihre Leistung. Die Folge: Wenn Ziele nicht erreicht werden, bricht nicht nur das Projekt zusammen, sondern auch der eigene Selbstwert. Was als Leistungsdruck beginnt, kann in eine handfeste Depression münden.

In diesem Artikel erkläre ich, woher dieser gefährliche Glaubenssatz kommt – und wie Sie ihn durch ursachenorientierte Therapie durchbrechen können.

Das klassische Selbstwertproblem: „Kannst du was, bist du was!“

Dieser Satz sitzt tief – und er ist weit verbreitet. Viele Führungskräfte haben ein leistungsorientiertes Selbstwertkonzept verinnerlicht. Sie bestimmen ihren eigenen Wert nach Eigenschaften, Leistungen oder der Beliebtheit bei anderen.

Die zentrale Denkweise lautet: „Ich bin nur gut, wenn ich leiste.“

Das Problem: Diese Gleichung funktioniert nicht. Denn in der modernen Arbeitswelt sind viele Ziele unerreichbar – nicht wegen mangelnder Kompetenz, sondern wegen struktureller Überforderung, unrealistischer Erwartungen oder schlicht fehlender Ressourcen.

Selbstwertprobleme (SWP) gehören zu den häufigsten psychischen Problemen. Bei einem SWP beziehen sich die krank machenden Denkweisen auf Regeln oder Eigenschaften, die Zugewinn oder Verlust des eigenen Werts bedeuten. Der Anteil der Selbstwertprobleme liegt in der ambulanten psychotherapeutischen Praxis bei über 80 Prozent.

Wenn Sie Ihren Selbstwert an Ihre Leistung koppeln, geben Sie die Kontrolle über Ihr Wohlbefinden ab. Jedes nicht erreichte Ziel wird zur persönlichen Niederlage. Jeder Rückschlag zur Bestätigung, dass Sie „nicht gut genug“ sind.

Wo dieser Glaubenssatz entsteht: Die Rolle der Kindheit

Glaubenssätze wie „Ich bin nur gut, wenn ich leiste“ entstehen nicht im Erwachsenenalter – sie werden in der Kindheit erworben und unbewusst weitergelebt. Diese Konzepte – also erlernte Deutungs-, Handlungs- und „Gebrauchsanweisungen“ für unseren Alltag – dienen uns dazu, in bestimmten Situationen spontan zu reagieren.

Wie Kinder lernen, ihren Wert an Leistung zu messen

Kinder lernen durch Lob und Anerkennung, wie sie sich selbst bewerten sollen. Wenn ein Kind vor allem für Leistungen gelobt wird („Du hast eine Eins geschrieben – ich bin so stolz auf dich!“), lernt es: Mein Wert entsteht durch meine Leistung.

Besonders problematisch sind negative Du-Botschaften: „Dafür bist du zu klein“, „Das kannst du nicht“, „Was ist das für ein Saustall, du alter Schmutzfink“. Solche Botschaften werden vom Kind verinnerlicht und führen zu negativen Ich-Aussagen wie „Ich kann das nicht“ oder „Ich bin nicht gut genug“.

Statische vs. dynamische Botschaften

Carol Dweck unterscheidet zwischen zwei Arten von Botschaften, die Eltern vermitteln:

  • Statische Botschaften: „Du bist so intelligent“ – vermittelt, dass Eigenschaften unveränderlich sind. Das Kind lernt: Entweder ich bin gut, oder ich bin es nicht.
  • Dynamische Botschaften: „Ich habe gesehen, wie sehr du dich angestrengt hast“ – fördert die Vorstellung, dass Fähigkeiten entwickelt werden können.

Führungskräfte, die mit statischen Botschaften aufgewachsen sind, neigen dazu, Misserfolge als Beweis für mangelnde Fähigkeiten zu interpretieren – statt als Teil eines Lernprozesses.

Das SKR-Modell: Wie Leistungsdruck zu Depression führt

Um zu verstehen, wie aus Leistungsdruck Depression wird, müssen wir die Mechanismen genauer betrachten. Dabei hilft das SKR-Modell (Situation-Kognitionen-Reaktionen):

Die zentrale Erkenntnis

Nicht die Situation S bestimmt, wie wir uns fühlen und verhalten (die Gefühls- und Verhaltensreaktionen R), sondern unsere Kognitionen K.

Kognitionen sind bewusste und unbewusste Gedanken. Sie bestehen aus:

  1. KSicht: „Was sehe ich persönlich in der Situation mit meinem Vorwissen, meinen Normen und Zielen?“
  2. KSchlüsse: „Was schließe ich daraus, welche persönlichen Konsequenzen vermute ich?“
  3. KBewerten: „Wie finde ich das?“
  4. KStrategie: „Wie will ich spontan mit dieser Situation umgehen?“

Ein Beispiel aus der Praxis

Situation (S): Sie schaffen ein wichtiges Quartalsziel nicht.

Kognitionen (K):

  • KSicht: „Ich hätte das schaffen müssen. Wer versagt, ist weniger wert. Erfolgreiche Menschen schaffen ihre Ziele.“
  • KSchlüsse: „Ich bin gescheitert. Das beweist, dass ich nicht gut genug bin. Ich werde meine Position verlieren.“
  • KBewerten: „Das ist furchtbar und hoffnungslos.“
  • KStrategie: „Arbeite noch härter. Zeige keine Schwäche. Gib auf, wenn du nicht siehst, wie du es schaffen kannst.“

Reaktionen (R):

  • Emotion: Niedergeschlagenheit (8/10), Scham (7/10)
  • Körper: Erschöpfung, Schlafstörungen, Verspannungen
  • Verhalten: Noch mehr arbeiten, Rückzug, Grübeln

Die typischen Denkfallen bei Leistungsdruck

Führungskräfte mit leistungsorientiertem Selbstwertproblem fallen besonders häufig in bestimmte Denkfallen:

1. Katastrophendenken

Aus „Das ist sehr unangenehm“ wird „Das ist unerträglich und katastrophal“. Sie übertreiben maßlos negativ und machen aus einer Mücke einen Elefanten.

2. Absolutes Fordern und Muss-Denken

„Ich muss das schaffen!“ – Sie stellen unerbittliche Forderungen an sich selbst, ohne Bedingungen zu berücksichtigen. Ein bedingtes „Wenn ich meine Ziele erreichen will, muss ich mich anstrengen“ wird zu einem unbedingten „Ich muss perfekt sein!“

3. Schwarz-Weiß-Denken und Generalisieren

„Ich habe einmal versagt, also bin ich ein Versager.“ Sie schließen vom Einzelfall auf das Ganze und bewerten sich pauschal.

4. Menschenwertbestimmen

Sie bewerten sich als Person pauschal, statt einzelne Leistungen zu betrachten. Das ist, als würden Sie versuchen, einen „durchschnittlichen“ Wert aus fünf Äpfeln, 78 benutzten Schuhen, 124 Heuschrecken und 2,24 Autos zu bestimmen – unsinnig.

5. Verrenkungsdenken

Sie interpretieren neutrale Situationen als Beweise für Ihr Versagen. Der Chef sagt „Interessanter Ansatz“ – Sie hören „Das ist schlecht“.

Der Teufelskreis: Automatische Gedanken

Aaron Beck und Albert Ellis, Pioniere der Kognitiven Verhaltenstherapie, haben gezeigt: Diese negativen Glaubenssätze treten als automatische Gedanken auf – schnell, unbewusst, aber hochwirksam.

Je häufiger Sie in gleichartige Situationen geraten, desto zügiger laufen diese Gedanken ab. Dieser Lernprozess heißt „Bahnen“. Die Gedanken werden so schnell, dass sie kaum noch vorhanden zu sein scheinen. Irgendwann meinen Sie, Sie hätten überhaupt nichts gedacht – Ihre Reaktion sei direkt auf die Situation erfolgt.

Das ist sie nicht. Die Gedanken sind nur verdeckt – und wirken umso schädlicher aus dem Verborgenen.

Der Teufelskreis sieht so aus:

  1. Hohe Ziele: Sie setzen sich (oder Ihr Unternehmen setzt Ihnen) anspruchsvolle Ziele.
  2. Überforderung: Die Ziele sind strukturell nicht erreichbar.
  3. Selbstabwertung: Statt die Situation realistisch zu bewerten, werten Sie sich selbst ab: „Ich hätte es schaffen müssen.“
  4. Druck erhöhen: Sie arbeiten noch mehr, vernachlässigen Erholung.
  5. Erschöpfung: Chronischer Stress führt zu emotionaler und körperlicher Erschöpfung.
  6. Depression: Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwächen, Schlafstörungen, Selbstzweifel.

Warum Führungskräfte besonders gefährdet sind

Führungskräfte sind aus mehreren Gründen besonders anfällig:

  • Hohe Verantwortung: Sie tragen Verantwortung für Teams, Ergebnisse, Entscheidungen – oft mit wenig Kontrolle über Rahmenbedingungen.
  • Perfektionismus: Viele haben ihren Status durch hohe Leistung erreicht – und glauben, diesen Standard dauerhaft halten zu müssen.
  • Keine Schwäche zeigen: Führungskräfte erleben oft, dass Schwäche im beruflichen Kontext „bestraft“ wird. Also lernen sie, Überforderung zu verbergen.
  • Isolation: Wer soll Sie verstehen? Ihr Team nicht. Ihre Kollegen sind Konkurrenten. Ihr Vorgesetzter erwartet Ergebnisse.

Das Ergebnis: Sie funktionieren nach außen, aber innerlich fühlen Sie sich leer, erschöpft oder überfordert.

Was hilft: Ursachenorientierte Therapie statt Symptombekämpfung

Die gute Nachricht: Leistungsdruck-Depression ist behandelbar – wenn Sie bereit sind, an den Ursachen zu arbeiten, nicht nur an den Symptomen.

Coaching vs. Therapie: Was ist der Unterschied?

Viele Führungskräfte suchen zunächst Coaching. Das kann hilfreich sein – solange noch keine depressive Symptomatik vorliegt. Coaching arbeitet an Zielen, Strategien, Verhaltensänderungen.

Aber: Wenn bereits eine Depression vorliegt, reicht Coaching nicht aus. Dann braucht es Therapie – speziell Kognitive Verhaltenstherapie (KVT).

Wie Kognitive Verhaltenstherapie hilft

In der Kognitiven Verhaltenstherapie arbeiten wir an drei Ebenen:

1. Denkmuster erkennen

Wir machen die automatischen Gedanken und verdeckten Konzepte sichtbar, die Ihren Selbstwert untergraben:

  • „Ich muss immer perfekt sein.“
  • „Wenn ich scheitere, bin ich wertlos.“
  • „Ich darf keine Schwäche zeigen.“
  • „Wer nicht leistet, ist nichts wert.“

Methode: Gedankenstopp und SKR-Analyse

Wenn Sie in einer belastenden Situation sind, rufen Sie innerlich: „Halt! Stopp! Was habe ich eben gedacht, dass ich mich jetzt so fühle?“ So holen Sie unbewusste Gedankenprozesse zurück ins Bewusstsein.

2. Glaubenssätze hinterfragen

Wir prüfen: Sind diese Überzeugungen wahr? Hilfreich? Oder sind sie verinnerlichte Botschaften aus Ihrer Kindheit, die heute nicht mehr passen?

Prüfkriterien für Angemessenheit:

  • Realitätsbezogenheit: Entspricht das der Realität oder ist es eine maßlose Übertreibung?
  • Logik: Folgt das logisch oder sind das willkürliche Schlussfolgerungen?
  • Normen- und Zielverträglichkeit: Passt das zu meinen eigentlichen Werten und Zielen?
  • Langfristige Wirkung: Maximiert das meine langfristige Lebenszufriedenheit?

Beispiel: „Ich bin nur gut, wenn ich leiste“ → Wo kommt dieser Satz her? Von wem haben Sie das gelernt? Ist das wirklich wahr, oder ist das die Stimme Ihrer Eltern, Ihres ersten Chefs, der Gesellschaft?

Die Wahrheit ist: Pauschalurteile über Menschen sind unsinnig. Sie sind vielschichtig und komplex. Einzelne Leistungen können gut oder schlecht sein – Sie als Person sind weder das eine noch das andere.

3. Neue Denkmuster etablieren

Wir entwickeln alternative, realistische Überzeugungen:

  • „Mein Wert als Mensch ist unabhängig von meiner Leistung.“
  • „Ich kann einzelne Leistungen bewerten, aber mich nicht pauschal als Person.“
  • „Scheitern ist Teil des Lernprozesses, nicht Beweis meiner Unfähigkeit.“
  • „Ich darf Grenzen setzen – das ist ein Zeichen von Stärke, nicht Schwäche.“
  • „Ich kann nicht alles kontrollieren – und das ist okay.“
  • „Strukturelle Probleme erfordern strukturelle Lösungen, nicht mehr Selbstdruck.“

Diese neuen Denkmuster werden nicht nur intellektuell verstanden, sondern durch Übungen und Verhaltensexperimente erlebbar gemacht und verankert.

Warum ursachenorientierte Therapie nachhaltiger ist

Klassische Stressmanagement-Programme sagen: „Machen Sie Atemübungen“, „Setzen Sie Prioritäten“, „Nehmen Sie sich Auszeiten“.

Das Problem: Solange das Konzept „Ich bin nur gut, wenn ich leiste“ aktiv ist, werden Sie keine Auszeiten nehmen. Sie werden sich schuldig fühlen, wenn Sie Prioritäten setzen. Sie werden die Atemübung machen – und sich danach sofort wieder unter Druck setzen.

Ursachenorientierte Therapie fragt: Warum fällt es Ihnen so schwer, Auszeiten zu nehmen? Welche Überzeugung hindert Sie daran? Was würde passieren, wenn Sie langsamer machen?

Erst wenn wir diese Ursachen verstehen und die zugrunde liegenden schädlichen Konzepte verändern, wird Stressmanagement nachhaltig wirksam.

Prävention: Bevor es zur Depression kommt

Idealerweise setzen Sie früher an – bevor sich eine depressive Symptomatik entwickelt.

Warnsignale erkennen

Achten Sie auf diese Anzeichen:

  • Sie denken ständig an die Arbeit – auch am Wochenende, im Urlaub, nachts.
  • Sie fühlen sich schuldig, wenn Sie sich ausruhen.
  • Sie werten sich ab, wenn Sie Ziele nicht erreichen.
  • Sie haben das Gefühl, nie genug zu tun.
  • Sie vernachlässigen Beziehungen, Hobbys, Gesundheit.
  • Sie sind gereizt, erschöpft, aber können nicht abschalten.

Wenn Sie mehrere dieser Punkte wiedererkennen: Handeln Sie jetzt. Warten Sie nicht, bis eine Depression manifest wird.

Was Sie selbst tun können

Einige Ansatzpunkte für die Selbstreflexion:

Erstellen Sie SKR-Modelle:

  • Beschreiben Sie die Situation so sachlich wie möglich.
  • Notieren Sie Ihre Kognitionen (Was denke ich? Was befürchte ich? Wie bewerte ich das?).
  • Beobachten Sie Ihre Reaktionen (Gefühle, Körpersymptome, Verhalten).

Hinterfragen Sie Ihre Denkmuster:

  • In welchen Situationen werten Sie sich ab? Was sagen Sie dann zu sich selbst?
  • Woher kommt dieser Gedanke? Ist das wirklich Ihre Stimme – oder die Stimme von jemand anderem?
  • Welche der typischen Denkfallen verwenden Sie häufig?

Experimentieren Sie:

  • Was passiert, wenn Sie mal NICHT perfekt sind?
  • Wenn Sie eine Aufgabe NICHT erledigen?
  • Bricht die Welt zusammen – oder passiert weniger, als Sie befürchten?

Aber: Wenn Sie bereits in einer depressiven Phase sind, reicht Selbstreflexion nicht aus. Dann brauchen Sie professionelle Unterstützung.

Fazit: Lösen Sie Ihren Selbstwert von Ihrer Leistung

Leistungsdruck und Depression sind eng verknüpft – besonders bei Führungskräften, die ihren Selbstwert an berufliche Erfolge koppeln.

Die Lösung liegt nicht in mehr Disziplin, härterem Arbeiten oder besseren Zeitmanagement-Techniken. Die Lösung liegt darin, das fundamentale Selbstwertkonzept zu verändern.

Durch ursachenorientierte Therapie – insbesondere Integrative Kognitive Verhaltenstherapie – können Sie lernen:

  • Pauschalurteile über sich selbst aufzugeben. Sie können einzelne Leistungen bewerten, aber sich nicht als Person pauschal ab- oder aufwerten.
  • Scheitern macht Sie nicht wertlos – es macht Sie menschlich und bietet Lernchancen.
  • Grenzen setzen ist keine Schwäche, sondern notwendige Selbstfürsorge.
  • Sie sind mehr als Ihre Rolle, Ihr Titel, Ihre Erfolge oder Misserfolge.
  • Automatische Gedanken zu erkennen und durch angemessene zu ersetzen.

Diese Arbeit ist nicht bequem. Sie kann herausfordernd und konfrontativ sein. Aber erst die ehrliche Auseinandersetzung mit den tieferliegenden Ursachen – den verinnerlichten Konzepten und automatischen Gedanken – schafft Raum für echte, nachhaltige Veränderung.


Sie spüren, dass der Druck zu viel wird?

In meiner Praxis für Psychotherapie in Hamburg begleite ich Führungskräfte dabei, die tieferliegenden Ursachen ihrer Belastung zu erkennen und zu verändern. Als Diplom-Kaufmann und Therapeut verstehe ich beide Welten: die Anforderungen Ihrer beruflichen Realität und die psychologischen Mechanismen, die Sie unter Druck setzen.

Gemeinsam arbeiten wir daran, schädliche Denkkonzepte aufzudecken und durch angemessene zu ersetzen – damit Sie wieder mit Freude und Gelassenheit führen können.

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